Er erhebt sich wie ein Relikt aus einer anderen Zeit. Umschmeichelt von den zumeist milden Fluten des Rheins war er für die Schifffahrt auf dem großen Strom stets so etwas wie ein „Steh‘ im Weg“. Für andere war der Binger Mäuseturm hingegen eher ein Wegweiser. Ohne jeden Zweifel blickt dieses ungewöhnliche Gebäude auf eine jahrhundertealte Historie zurück, denn der Turm entstand zu Zeiten der Wegelagerer und der Zollerhebung. Die Burgen Klopp und Ehrenfels blickten bereits in der Mitte des 13. Jahrhunderts hinab auf die Idylle zu beiden Seiten des Rheins, und es waren die Mainzer Erzbischöfe, die dort den Wegezoll eintrieben. So entstand der Wachturm im Fluss als ein markantes Zeichen des religiösen und rein monetären Hoheits-Begehrens.
Überlieferten Zeugnissen zufolge wurde bereits um 1516 vom „Mäuseturm“ gesprochen, wenn vom Zollgebäude im Rhein die Rede war. Vermutlich hatte das weniger mit den kleinen Nagern zu tun sondern eher mit dem mittelhochdeutschen Wort „Musen“. Womit in dieser Zeit „Spähen“ oder „Lauern“ gemeint war. Doch die Legendenbildung wollte es, dass der Binger Mäuseturm eine gänzlich andere Geschichte erhielt. Danach wurde der von der Bevölkerung verhasste Erzbischof Hatto im besagten Turm bei lebendigem Leibe von Mäusen gefressen – als Strafe für seine Unbarmherzigkeit gegenüber den Menschen am Rhein. Denn die litten unter den Folgen einer Dürre, während die Kornkammer des Bistums reichlich gefüllt war.
Vom Reich der Legende zurück in die geschichtliche Entwicklung des Binger Mäuseturms. Tatsache ist, dass der in den Wirren des Dreißigjähriges Krieges und im Erbfolgekrieg der Pfalz zerstört wurde. Erst der preußische Regent Friedrich Wilhelm IV. fand Gefallen an dem historischen und ungewöhnlichen Gebäude im Rhein. Kein Geringerer als der Kölner Dombaumeister Ernst Friedrich Zwirner wurde mit den Plänen und mit der Wiedererrichtung des Turms beauftragt. Fortan war der Mäuseturm von Bingen eine Grenzmarkierung der königlich-preußischen Provinz am Rhein. Und er bekam eine weitere wichtige Bedeutung als Signalturm für die Schifffahrt auf dem wichtigen Fluss. Immerhin galt die Engstelle des sogenannten „Binger Lochs“ als eine stetige Gefahr. Erst Mitte der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts wurde die Fahrrinne so stark verbreitert, dass sich die Probleme für die Rheinschifffahrt minimierten.
Kulturerbe der Menschheit – der Mäuseturm von Bingen
Der heutige Mäuseturm von Bingen erstreckt sich nunmehr über drei Etagen mit einer Plattform, die mit Zinnen versehen wurde. Das Gebäude steht unter einem intensiven Denkmalschutz und fand im Jahr 2002 Aufnahme in die Liste des UNESCO-Weltkultur-Erbes. Getreu der Haager Konvention wurde der Turm mit einem blau-weißen Zeichen für ein besonders schützenswertes Kulturgut gekennzeichnet. Im Mai 2009 wurde der Mäuseturm von Bingen für einige Zeit für Besuchergruppen gesperrt, weil sich durch einen Befall von Schimmel Gefahren abzeichneten. Seit 2016 ist er wieder für die Öffentlichkeit zugänglich. Dass nächtens und bei Sturm der Geist des von Mäusen heimgesuchten Erzbischofs über dem Turm schwebt, ist wohl der Legendenbildung zuzuschreiben.
Adresse
55411 Bingen